Großinterview mit Herrn Peter Stübler,
dem Schulleiter des Ungarndeutschen Bildungszentrums
Lieber Herr Stübler, in Ihrer Schuljahreseröffnungsrede haben Sie erwähnt, dass dies Ihr 26. Schuljahr ist, davon haben Sie drei Jahre hier im UBZ verbracht. Wie blicken Sie auf diese drei Jahre zurück?
Es war eine interessante Zeit. Rückblickend auf die Entscheidungen, die wir als Familie getroffen haben, und darauf, dass ich mich für die Position des Schulleiters beworben habe, kann ich mit Sicherheit sagen, dass es viel spannender und komplexer war, als ich es mir 2020 vorgestellt hatte. Man muss schon sehen, dass wir einerseits die größte deutsche Auslandsschule in Mittelosteuropa sind, was auf den ersten Blick vielleicht nicht offensichtlich ist, wenn man an Baja denkt. Das stellt eine berufliche Herausforderung dar, die sehr komplex ist.
Auf der anderen Seite, wenn ich meine Tätigkeit an der Deutschen Schule Budapest damit vergleiche, beeindruckt mich immer noch am meisten die Tatsache, wie stark sich die Schüler hier mit diesem Schulstandort identifizieren. Es gibt zahlreiche Alumni, die bereit sind, der Schule in großen und kleinen Dingen zu helfen, einfach weil sie hier ihre Schulzeit verbracht haben. Die Schüler, die derzeit hier sind, haben eine klare Identifikation mit dieser Schule. Diese Mischung aus einer traditionellen, gemütlichen und familiären Atmosphäre, kombiniert mit dem Gedanken, dass dies die größte deutsche Auslandsschule und ein mittelständiges Unternehmen ist, macht diese berufliche Tätigkeit außergewöhnlich spannend.
Seit dem 1. September ist das UBZ eine von den weltweit 140 deutschen Auslandschulen.
Peter Stübler
Das ist natürliche eine zusätzliche Motivation für dieses Jahr und ehrlich gesagt, bringt es auch eine große zusätzliche Verantwortung mit sich. Denn wir übernehmen hier einen Schulstandort, der seit 1956 besteht und unglaublich viel geleistet hat. Wenn man sich das erste Gebäude ansieht und dann betrachtet, wo wir heute stehen, wird deutlich, wie viel Fortschritt erzielt wurde. Das Erste, was man tun muss, ist, das Vorhandene zu bewahren und es Schritt für Schritt weiterzuentwickeln. Ich sehe dies nicht nur als einen Schritt hin zur deutschen Auslandsschule, sondern auch als eine weitere Phase der Entwicklung. Das ist zweifellos eine große Aufgabe und markiert einen bedeutsamen Statuswechsel.
Was ist denn das Neue, welche Veränderungen bringt der Status Deutsche Auslandsschule mit sich?
Im formalen Sinne besteht die Änderung darin, dass in dem deutschen Auslandsschulteil des UBZ Baja – und das ist der größte Schulteil – die deutsche Schulordnung gilt und nicht mehr die ungarische. Das ist zwar ein formaler Aspekt, aber es bildet den Ausgangspunkt dafür, dass wir weiterhin das deutsche Abitur hier verteilen können. Es ist auch die Grundlage dafür, dass wir weiterhin 12 vom deutschen Staat finanzierte Lehrkräfte hier haben und einen Fördervertrag mit der Zentralstelle für das Auslandsschulwesen in Deutschland abschließen können, der erhebliche finanzielle Unterstützung bietet und dass man diese Möglichkeiten weiterhin nutzen kann. Vor einer Woche habe ich die erfreuliche Nachricht erhalten, dass wir den Fördervertrag für die Jahre 2023 bis 2026 mit der ZfA unterzeichnen können. Erfreulicherweise gibt es keine Kürzung der Unterstützung, sondern eine leichte Steigerung der finanziellen Unterstützung aus Deutschland.
Was ich noch für sehr wichtig halte, es geht nicht nur darum, was sich ändert oder dass sich alles ändert. Was die Auslandsschule mit der Nationalitätenschule ganz offensichtlich verbindet, ist die Kernmarke Deutsch und das wird ja weitergeführt und an vielen Stellen vielleicht sogar intensiviert.
Durch den Status als Auslandsschule gibt es mehr Fächer, die in deutscher Sprache unterrichtet werden müssen, wir kommen noch enger im Grundschulbereich mit deutschen methodischen und didaktischen Konzepten zum Fremdsprachenerwerb in den Austausch, wo ich schon mal einen Gewinn verspreche. Aus dem Austausch, der Begegnung von Ideen aus dem Nationalitätenunterricht und aus den Erfahrungen, die man eben in Deutschland mit Fremdsprachenunterricht hat, soll eine Stärkung des Deutschlernens hervorgehen. Das ist nach wie vor das übergeordnete Ziel der deutschen Auslandsschulen: die Verbreitung der deutschen Sprache. Das liegt nicht weit entfernt von dem, was bisher war. Deshalb kann man ja den Begriff Weiterentwicklung verwenden.
Das heißt also nicht, dass wir von der Sprache, von der Kultur des Landes, von den ungarndeutschen Traditionen, die unsere Schule trägt, nichts wissen wollen. Ganz im Gegenteil, die Begegnungsschule bedeutet ja, dass Kinder in der Fremdsprache Deutsch, aber natürlich auch in der ungarischen Sprache stark sein sollen und den Raum haben sollen, ihre eigene persönliche Identität hier zu finden und zu stärken. Für viele von uns ist das nach wie vor die ungarndeutsche Identität.
Lassen Sie uns nun aus der Perspektive der Eltern und der zukünftigen Schüler betrachten, welches vielfältige Angebot die Schule bietet und welchen Schülern sie dies empfehlen.
Die einfache Antwort darauf ist, dass wir das allen Interessenten aus gutem Grund empfehlen können. Das UBZ unterscheidet sich von vielen anderen Bildungseinrichtungen dadurch, dass wir wirklich sagen können: Bei uns kann jeder in seinem eigenen Tempo und mit unterschiedlichen Zielen zu einem Abitur kommen. Dieser Dreiklang aus deutscher Auslandsschule mit deutsch-ungarischem Doppelabitur, ungarischem Nationalitätengymnasium mit Nationalitäten-Abitur und Technikum mit Berufsorientierungsabschluss ist etwas ganz Besonderes.
In den letzten Jahren hat uns die Frage beschäftigt, wie wir sicherstellen können, dass Schüler an vielen Stellen ihre Entscheidungen überdenken können und den Schulzweig wechseln können. Die Durchlässigkeit der einzelnen Bildungszweige ist für uns ein wichtiges Ziel. Wenn ein Schüler sich beispielsweise in der sechsten Klasse für das deutsch-ungarische Doppelabitur entschieden hat, aber später feststellt, dass das Technikum für ihn interessanter ist, sollte es möglich sein, diese Entscheidung zu korrigieren, zumindest so lange wie möglich. Wir glauben, dass bis zur Klasse 10 eine Korrektur möglich sein sollte. Dies ist meiner Meinung nach auch eine Besonderheit dieser Schule. Wir können Schüler bei der Wahl ihres Bildungsweges zum Abitur beratend unterstützen. Wir werden nie sagen, dass ein Schüler bei uns falsch ist und woanders hinmuss. Bei uns gibt es immer ein Angebot, das zu ihm passt. Jeder ist hier herzlich willkommen, unabhängig von seinem Hintergrund, und wir finden gemeinsam mit den Familien den richtigen Weg.
Selbst externe Schüler haben nach wie vor die Möglichkeit, nach der achten Klasse ins UBZ zu wechseln.
Hierbei spielt unser Internat mit 200 Plätzen eine wichtige Rolle und darauf können wir auf eine jahrzehntelange Tradition zurückblicken. Die Grundschule endet nach der achten Klasse und dann stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Da haben wir in der Sprachvorbereitungsklasse (nullte Klasse) ein sehr etabliertes Angebot mit 20 Stunden Deutschunterricht pro Woche über ein Schuljahr hinweg. Statistisch betrachtet kommen Schülerinnen und Schüler, die erst in der 9. Klasse zu uns kommen, in allen drei Zweigen, die wir anbieten, mit herausragenden Ergebnissen zum Abitur. Wir sind offen, wir heißen Schüler aus Serbien, Dunaújváros oder sogar bis an den Budapester Stadtrand herzlich willkommen. Dieses Angebot werden wir definitiv weiterführen.
Das UBZ hat zweifellos einen exzellenten Ruf, nicht nur in der Bajaer Region, sondern es gibt sogar mehrere Standortschulen.
Wir hatten das Glück, die Modelle, die wir hier in Baja entwickelt haben, auch an anderen Stellen im Land weiterzuentwickeln und zu erproben. Ein Beispiel ist die Mercedes-Benz Schule in Kecskemét, die eng mit dem Mercedes-Werk verbunden ist und ebenfalls das deutsch-ungarische Abitur anbietet. Ganz aktuell haben wir in Debrecen eine Grundschule von der ersten bis zur vierten Klasse aufgebaut, inspiriert durch die Investition von BMW in Debrecen. Diese Entwicklungen sind spannend, da wir eine große Anzahl von Lehrkräften sowohl aus Ungarn als auch aus Deutschland haben. Wir bemühen uns, dass die Abteilungen auch untereinander gegenseitig von den Erfahrungen profitieren, indem wir gemeinsame pädagogische Tage abhalten und in den Austausch kommen.
Der Erfolg und die Popularität des UBZ sind ein Zeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dennoch ist es wichtig, nicht in Selbstzufriedenheit zu verfallen. Garry Kasparov, der Schachweltmeister, hat einmal gesagt, dass die größten Fehler im Erfolg gemacht werden. Dieser Ausspruch birgt viel Wahrheit. Wenn wir uns zurücklehnen und sagen, dass alles gut ist, könnten andere uns möglicherweise überholen. Deshalb ist es entscheidend, dass wir uns immer wieder in Frage stellen und darüber nachdenken, wie wir inhaltlich vorankommen können, wie wir unser Angebot bekannt machen können.
Es ist eine Herausforderung, nicht nur in Ungarn, sondern in vielen europäischen Ländern, dass Englisch zweifellos die dominierende Fremdsprache ist. Dies wird sich voraussichtlich nicht ändern. Dennoch sollten alle, die sich mit der deutschen Sprache beschäftigen, darauf achten, dass Deutsch als zweite Fremdsprache relevant bleibt. Spanisch wird an vielen Stellen eine Konkurrenz sein, oder einige sagen Englisch allein reicht auch irgendwie. Wir sollten durch positive Öffentlichkeitsarbeit immer wieder betonen, dass Englisch in der heutigen Berufswelt nach wie vor ein Muss, aber Deutsch an vielen Stellen ein ganz großes Plus ist. Es ist nicht nur eine ökonomische Frage, sondern auch eine kulturelle. In einer Zeit von kurzen 10-Sekunden-Clips auf YouTube und anderen vereinfachten Darstellungsformen ist es eine Herausforderung, die Komplexität einer Kultur zu vermitteln. Dies ist eine Aufgabe, der wir uns alle an unserer Schule verpflichtet fühlen.
Sie haben schon mehrere Jahre in Ungarn verbracht, kann man sagen, dass dieses Land für Sie Ihre zweite Heimat ist?
Ja, es ist definitiv mehr als nur eine Floskel zu sagen, dass Ungarn meine zweite Heimat geworden ist. Mein Aufenthalt hier begann 2008, als ich ins Auslandsschulwesen nach Budapest kam. Dies geschah eigentlich aus einem positiven Gefühl heraus, da ich mich als ehemaliger DDR-Bürger an meine Urlaube in Ungarn erinnerte. Aus dieser Entscheidung heraus ist eine deutsch-ungarische Familie entstanden. Ich habe sehr schnell meine ungarische Ehefrau kennengelernt, unsere beiden Kinder sind in Budapest geboren, unser Haus steht in Budapest. Daher kann ich mit vollem Herzen sagen, dass Ungarn meine zweite Heimat ist. Dies zeigt sich auch darin, dass meine Frau, meine Kinder und ich beide Staatsbürgerschaften haben. Auch wenn es vielleicht pathetisch klingen mag, sind wir wirklich stolz darauf, beide Staatsbürgerschaften zu besitzen.
Sie kommen aus Leipzig, wann wird RB Leipzig deutscher Fußballmeister?
Ja, die Frage stell ich mir auch seit einigen Jahren. Ich habe manchmal das Gefühl, dort geht’s zu gemütlich zu, man ist mit Platz 3 oder 4 immer zufrieden, solange es für die Champions League reicht. Im Vergleich zu Bayern München gibt es bei RB Leipzig zu wenig Streit, zu wenig Reibereien und zu wenig Wille, wirklich Erster zu sein. Daher bin ich ehrlich gesagt skeptisch, ob RB Leipzig in den nächsten fünf Jahren deutscher Meister wird.
Danke für das Gespräch.
am
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